29 de desembre del 2010

Neue Blicke von der Fiktion auf die Realität

[Krimi-Tipp, 55, juli-dezember 2010]

Sánchez Zapatero, Javier; Martín Escribà, Àlex (Hg): Realidad y ficción criminal. Dimensiones narrativas del género negro. 2010, 267 S., Editorial Difácil, 978-84-935015-7-0, ca. EURO 17,00

Der „Congreso de Novela y Cine Negro“ (Kongreß für Kriminalroman und –film) der Universität Salamanca ist für Untersuchung und Verbreitung des Kriminal- und Detektivgenres in Spanien zu einem erstrangigen Referenzpunkt geworden, und zwar sowohl durch das Niveau der theoretischen Beiträge als auch durch den Ruf der Mitwirkenden. Ein breites Spektrum von Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen mit dem Genre verbunden sind – Autoren, Spezialisten, Filmregisseure, Marketingleute und Wissenschaftler – trifft sich jedes Jahr in Salamanca zur Darlegung, Diskussion und Vertiefung der Studien des literarischen und Film-Genres, das sich zur Zeit weltweit größter Beliebtheit erfreut.

Wer Alex Martin Escribà und Javier Sánchez Zapatero kennt, weiß, daß die Leiter des Kongresses Wert darauf legen, die Beiträge nicht im Äther verschwinden zu lassen. Jedes Jahr erscheint ein Buch, das die unterschiedlichen Beiträge des Vorjahreskongresses und die vielfältigen Gesichtspunkte der Studien versammelt; ohne Zweifel läßt sich heute feststellen, daß die fünf bisher erschienenen Bände der wichtigste theoretische Beitrag zur Untersuchung des Genres sind, der in Spanien je unternommen wurde.

Der fünfte Kongreß (5.-8. Mai 2009 in Salamanca) befaßte sich mit dem Thema „Kriminelle Realität und Fiktion“; dies ist auch das Thema des vorliegenden Bandes. Die Behandlung der Wirklichkeit und die Glaubwürdigkeit der Erzählung sind grundlegende Themen einer Fiktion wie der des Kriminalgenres, das von der Realität lebt und bei dem der Autor, ausgehend von einem Verbrechen, sich Fragen über die Gesellschaft stellt und diese an den Leser weitergibt.

Diese neuen Blicke von der Fiktion auf die Realität beginnen mit den Überlegungen, die Fernando Savater hinsichtlich des Detektivromans mit „Novela detectivesca y conciencia moral: ensayo de Poe-ética“ [Detektivroman und moralisches Bewußtsein: Versuch über Poe-Ethik] anstellt; Javier Rodríguez Pequeño analysiert den Verbrecher als Protagonisten in Fiktion und Wirklichkeit in „El criminal y la verosimilitud en la novela negra“ [Der Verbrecher und die Wahrscheinlichkeit im Kriminalroman], und Nacho Faerna untersucht in „Ficción y realidad criminal“ [Kriminalfiktion und –realität] eine Reihe von Büchern, die keine Kriminalromane sind, sich aber mit der Behandlung der kriminellen Realität durch die Fiktion befassen.

Auch die Autoren tragen ihre Ansichten zum Schreibhandwerk bei. Suso de Toro erörtert in „Policía, psiquiatra y cura“ [Polizist, Psychiater und Priester] die Dreifachrolle des Autors, der sich mit Kriminalfiktion beschäftigt, und Domingo Villar erzählt in „Literatura de fermentación lenta“ [Langsam gärende Literatur] über die Entstehung der Geschichten von Leo Caldas und deren Beziehung zur Realität.

Ferner finden sich in diesem Band Serienfiguren, deren Zyklen abgeschlossen sind. Walter Mosley ist ein Autor, der sich des Kriminalromans bedient, um die nordamerikanische Gesellschaft aus der Perspektive des Vertreters einer Minderheit zu betrachten, der von Easy Rawlins, eines afroamerikanischen Detektivs, der sich zwischen der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Auftauchen der Hippies durch Los Angeles bewegt und von Agustín Reyes-Torres in seiner Studie „El detective afroamericano frente a su realidad social“ [Der afroamerikanische Detektiv und seine gesellschaftliche Realität] analysiert wird. Kurt Wallander, der schwedische Inspektor, der die kalten Gefilde Schonens bewohnt, wird von Javier Sánchez Zapatero in „Henning Mankell y la saga Wallander: Una mirada a la amenaza criminal del Estado del Bienestar“ [Henning Mankell und die Wallander-Sage: Ein Blick auf die Bedrohung des Wohlfahrtstaats durch die Kriminalität] untersucht und in einen Kontext gebracht.

Die Abänderung der syllogistischen Ordnung im Werk des Mexikaniers Jorge Vulpi und in der Erzählung „Der Tod und der Kompaß“ von Jorge Luis Borges wird untersucht von Tomás Regalado López in „De Borges a Volpi: En busca de Klingsor y el relato policiaco metafisico“ [Das Klingsor-Paradox und die metaphysische Kriminalgeschichte]; und Sebastià Bennasar analysiert Realität und Fiktion des katalanischen Kriminalromans in „Desentrañando el alma de la sociedad“ [Die Seele der Gesellschaft ausweiden/sezieren/untersuchen]. Mit diesem Kontext befaßt sich auch Àlex Martín Escribà bei seiner Analyse des Werkes eines der wichtigsten Autoren aus Barcelona, Andreu Martín. Die herbere, brutalere, aktuelleste Realität findet sich bei Kama Gutier in „Ciudad final. Ficción y anatomía del feminicidio“ [Finale Stadt. Fiktion und Anatomie des Frauenmords], einer Untersuchung der Wirklichkeit der mexikanischen Grenzstadt und der Frage, wie sich im Roman einige Aufschlüsse über die Frauenmorde in Ciudad Juárez gewinnen lassen.

Aber Fiktion und Realität gehen nicht nur im Kriminalroman Hand in Hand; sie finden sich auch auf anderen Feldern, die ebenfalls beim Kongreß behandelt wurden: Musik und ihre Verbindung zum Kriminalroman in „Tiroteo en Blue Notes: Blues y novela negra“ [Schießerei in Blue Notes: Blues und Kriminalroman] von Manuel López Poy; sowie auch Film in „El cine negro y la sociedad estadounidense de los años cuarenta y cincuenta“ [Der „Film Noir“ und die nordamerikanische Gesellschaft in den 40er und 50er Jahren] von Juan Antonio Pérez Millán oder in „¿El cine y la televisión nos hacen violentos? Aproximación a los diferentes efectos de la violencia mediática“ [Machen uns Kino und Fernsehen gewälttätig? Annäherungen an die unterschiedlichen Auswirkungen von Gewalt in den Medien] von María Marcos Ramos.

Drei fiktionale Beiträge erfolgreicher Autoren beschließen den Band: Eugenio Fuentes und seine „Apuntes de un detective“ [Notizen eines Detektivs] und Luis Gutiérrez Maluenda mit „Filosofia“ [Philosophie]. Diese Erzählungen werden ergänzt durch einen interessanten Versuch, bei dem Antonio Marcos Realität und Fiktion in einer biographisch-literarischen Skizze über Jim Thompson kombiniert, „Algunas de las últimas palabras de Richard Claybur III.“.

Javier Sánchez Zapatero ist Professor für Spanisch an der Universität von Salamanca. Er ist Co-Autor mehrerer Bücher zur Kriminalliteratur sowie Literaturkritiker für „La Gaceta de Salamanca

Àlex Martín Escribà lehrte an den Universitäten von Salamanca, Havanna und Grenoble und ist Co-Autor vieler Aufsätze und Bücher zur Kriminalliteratur.

Beide Autoren veranstalten den seit 2005 jährlich an der Universität von Salamanca stattfindenden „Congreso de Novela y Cine Negro“. KTS 55

© Jordi Canal ist Bibliothekar der Biblioteca la Bóbila in L’Hospitalet und Herausgeber von „L’H Confidencial“, des Fanzine des „Club de Lectura de Novel-la Negra“ [Übersetzung Gisbert Haefs]

0 comentaris:

Publica un comentari a l'entrada

 
Google Analytics Alternative